Goldgräber, Abdecker, Müllkutscher und Strotter - der frühe Umgang mit dem Müll
Einen Vortrag zu diesem Thema hielt ich im November 2014 an der Universität Leoben als
Einleitungsvortrag zu der 12. Depo Tech-Konferenz über „Abfallwirtschaft,
Abfallverwertung , Deponietechnik und Altlasten“. Eingeladen hat mich zu dieser Konferenz Herr
Univ. Prof. Dr. Roland Pomberger - dafür sei ihm hier gedankt. Der Vortrag ist
im Tagungsband zu dieser Konferenz (2014) veröffentlicht.
Mit ein paar Ergänzungen bzw. Verbesserungen sei dieser Vortrag hier wiedergegeben:
Inhalt u.a.:
Kulturwissenschaft und Abfall
Der
Umgang des Bauern in früheren Zeiten mit dem Abfall - Die Abfallgrube der Familie Luther - Die
Abdecker
Der
Abfall in den Städten der Antike – Urin die
„Venus Cloacina“
„Goldgräber“ in den Städten
Oh
alte Burschenherrlichkeit - Wo sind den die vom breiten Stein ?
Putten und
Wagen für den Straßenkehricht
Die
Tochter des Müllkutschers
Menschen,
die vom Mist und mit dem Mist leben
Müllentsorger und Totengräber
- Der Herr, der tausend Leute unter sich hat
Mistführer ließen sich im Prater beschenken
Zur
Sprache der Strotter und Mistführer
Gedanken vor ab
– Kulturwissenschaft und Abfall Der Abfall gibt Auskunft über den Alltag von Menschen
Zum menschlichen Kulturschaffen gehört auch der
Abfall. Der Mensch produziert Abfall, wenn er den Boden bebaut, Tiere züchtet, Maschinen herstellt, Kunst
schafft usw.
Archäologen,
Ökologen, Politiker, Juristen,
Wirtschaftsunternehmer, Historiker, Technologen, Soziologen und
Ethnologen
haben alle irgendwie mit Abfall zu
tun. Der Müll vermag Auskunft über den
Lebensstandard von Menschen und überhaupt über deren Alltagtsleben zu
geben. Bei
Müll fällt handelt es sich – sehr allgemein gesagt - um
Überreste menschlichen
Schaffens.Als Student der Urgeschichte habe ich schon sehr bald bei
Austragungen, an denen ich teilnahm, erfahren, wie wichtig Abfallgruben
sind, denn im diesen fanden wir Keramikscherben, Knochen von Haustieren,
Werkzeuge, Spielsachen, Schlittenkufen aus Knochen und vieles mehr. In
meiner Proseminararbeit, die in der "Archaeologia Austriaca" zu meiner
Freude publiziert wurde, beschreibe ich und deute einen Schatzfund aus
einer Abfallgrube aus der Zeit um 700 v. Chr.
Die bekannteste kulturwissenschaftliche
Untersuchung zum Thema heutiger Müll und Abfallwirtschaft ist das sogenannte „Tucson
Garbage Project“, welches der amerikanische Anthropologe und Archäologe William
Rathje, im Jahre 1973 in Tucson im US-Staat Arizona durchführte. Das Projekt geht auf die Idee von zwei Archäologie-Studenten
zurück, die aus dem Müll Informationen über die Lebensweise der gegenwärtigen
Kultur erarbeiten wollten. Sie stellten fest, dass die Angaben bei
Bevölkerungsumfragen, die zum Thema Gesundheitsverhalten und zur Ernährung der
US-Amerikaner gemacht wurden, nicht identisch waren mit der vom Forschungsteam
vorgefundenen „Müllsituation“. Diese widerlegte die allgemeine Meinung, die
meisten Bürger würden sich gesund und abwechslungsreich ernähren. So z.B.
trinken amerikanische Bürger nach den im Müll gefundenen Bierdosen weit mehr
(etwa 60 % mehr) als sie in Befragungen angaben.
Ich
selbst habe ein paar Seminare abgehalten, in denen ich auf den
heutigen Abfall einging, Einige nette Seminararbeiten zu diesem Thema
war das Ergebnis. So beschrieben einige meiner Studentinnen und
Studenten, was sich alles in Abfallkübeln befindet, und deuteten dies
entsprechend.
Mit diesenHinweisen will ich andeuten, dass die
Beschäftigung mit dem Müll nicht nur unerhört spannend sein kann, sondern auch
viel über menschliches Kulturschaffen auszusagen vermag. Vor allem interessiert dabei herauszufinden,
wie Menschen in den verschiedenen Kulturen versucht haben bzw. versuchen, ihren Müll verschwinden zu lassen oder ihn nutzbringend
einzusetzen.
Der Umgang des Bauern in früheren Zeiten mit dem Abfall - die Abfallgrube der noblen Familie Luther
Für die alte bäuerliche Kultur, die auf die Jungsteinzeit
zurück geht und wie sie bis vor Kurzem in Siebenbürgen existierte, war das
Problem mit dem Abfall ein eher geringes, denn das Meiste, das am Hof, im Stall
und bei der Arbeit anfiel, konnte verwertet werden. Man kam mit einfachen Abfallgruben aus, wie
wir sie u.a. aus der Bronzezeit kennen. Als Student der Urgeschichte nahm ich an
Ausgrabungen von bronzezeitlichen Siedlungen teil, dabei interessierte uns
besonders der Inhalt der Abfallgruben. Dieser verhalf uns herauszufinden, welche Nahrungen
die Menschen damals zu sich nahmen. Auf Grund der Knochen konnten wir erkennen,
welche Tiere damals den Speiseplan bereicherten, und die Keramikscherben, die wir fanden, zeigten uns an, wie die Töpfe damals aussahen,
und anderes mehr.
Seit über 20
Jahren forsche ich bei Kleinbauern in Siebenbürgen, dabei erlebte ich eine
Kultur, in der die Bauern mit einem schön gepflegten Misthaufen, auf den die
Küchenabfälle geworfen wurden, einer Grube für Abfälle am Dorfrand und einem
Plumsklo auskamen. Der Stallmist kam auf das Feld ebenso wie die Jauche vom
Plumpsclo. Bei manchen Bauern in Siebenbürgen ist es heut noch so. Der
bäuerliche Abfall wurde also im Wesentlichen
voll verwertet, als Dünger, als
Bausubstanz für neue Siedlungen o. ä.. Noch während des Mittelalters und der
frühen Neuzeit begnügte man sich auch bei uns den Städten mit Plumpsclos und
Erdgruben für den Abfall. Aus der Abfallgrube, die zum Haushalt der Familie
Martin Luthers gehörte, wissen wir z.B,
, dass es nicht stimmen könne, was Luther behauptet habe, nämlich, dass er aus
ärmlichen Verhältnissen stamme. Archäologen fanden dagegen heraus, dass die Familie
sehr wohlhabend gewesen sein muss. Björn Schlenker, Archäologe des Landesdenkmalamts
Sachsen-Anhalt, meinte strahlend: „Es war umwerfend, was wir alles fanden.“ Und
es passt so gar nicht zum traditionellen Lutherbild. Im Abfall landete, was bei
Luthers auf den Tisch kam. „Wir haben über 7000 Tierknochen gefunden“, erzählt
der Archäologe, „die meisten stammen von Schweinen – jungen, die besonders gut
schmeckten“ (siehe dazu Kai Michel, Der Müll des Reformators, Die Zeit, 13.5. 2009).
Die
Abdecker
Es gab aber auch Abfälle, die bei den Bauern zumeist
außerhalb des Dorfes verscharrt wurden, dazu gehörten Tierkadaver. Tierkadaver
wurden aber auch weiter verarbeitet. Dafür entwickelte sich ein eigenes Gewerbe,
nämlich das der Wasenmeister oder Abdecker. Diese Leute, die zu den unehrlichen
Leuten gehörten - sie befanden sich
ausserhalb der mittelalterlichen Ständeordnung - verarbeiteten vor allem die Knochen und die Häute
der Tiere. Es ist erwähnenswert, dass der berühmte Waldviertler Räuberhauptmann
Georg Grasl aus einer solchen Abdecker- Familie stammte. Meist siedelten diese
Abdecker am Rande der Dörfer, dort, wohin der Wind zieht, damit die
Dorfbewohner nicht belästigt wurden durch den Geruch vom Arbeitsplatz des
Abdeckers. Berühmt wurde auch der
Abdecker von Salzburg am Ende des 18. Jh., der gleichzeitig auch Henker war,
ist hier zu erwähnen. Er ist der Taufpate des Kindes einer leichten Dame und
eines Deserteurs. Dieses Patenkind des
Abdeckers wurde später Pfarrer, sein Name ist Josef Mohr. Von ihm stammt das
Lied „Stille Nacht, heilige Nacht“. Im großen
und ganzen war bei den früheren Bauern die Abfallentsorgung identisch mit Wiederverwertung,
zu auch das Gewerbe des Abdeckers gehörte.
Der Abfall in den Städten der Antike – Urin und die die „Venus Cloacina“
Erst in den Städten wurde der Abfall zum echten
Problem. Rom und Athen gehören zu den
ersten Städten, die über eine Kanalisation, aber auch über Toiletten u.ä. verfügten. Damals dachte
man noch an die Wiederverwertung des Unrats. So kamen findige Leuten auf die
Idee, Urin, das in Töpfen gesammelt wurde, für das Gerben von Tierhäuten, aber
auch für das Färben von Kleiderstoffen u.ä. zu verwenden. Urin wurde aber auch für die Aufbereitung von Purpur3eingesetzt.
Außerdem verwendete man die Felle von Rindern, Schafen, Eseln und Ziegen, um Pergament
zu erzeugen. Im alten Jerusalem
gab es, wir wissen dies aus der Bibel,
für den Abfall ein eigenes Stadttor,
durch welches der Abfall vor die Stadt getragen wurde. , Auf Hebräisch hieß dieses Tor Scha'ar
haAschpot, was soviel wie „Abfalltor“
bedeutet. Es war eines der acht Tore des alten Jerusalems, es befindet sich
südwestlich des Tempelberges. In Jerusalem
gab es sogar einen eigenen Abwasserkanal, auf den Archäologen erst vor einigen
Jahren bei der Freilegung einer Straße aus der Zeit des Herodes stießen. Irgendwo las ich, dass König David Jerusalem
dadurch erobern konnte, weil er einen Soldaten durch einen Abwasserkanal in die
Stadt geschickt habe, um eines der Stadttore von innen zu öffnen. Auf diese
Weise soll David Jerusalem ohne Blutvergiessen erobert haben. Für diese
Geschichte fand ich in der Bibel - im
Buch Samuel wird das Leben Davids geschildert - allerdings keinen Beleg.
In Athen während der Spätantike wurde ein
Gesetz erlassen, in dem es u.a. darum ging, mit
Abfällen nicht willkürlich die städtische Umwelt zu verdrecken. Es heißt
da: „„Diejenigen, welche Schutt auf
die Straße geworfen haben, sollen angehalten werden, ihn wieder fortzuräumen,
und damit alles in gutem Zustand bleibe ….“.
Mit Erfolg setzte sich wohl nur eine einzige Stadt in der
Antike gegen die Müllproblematik ein, nämlich Rom, wo die berühmte „Cloaca
maxima“, die aus unterirdischen Kanälen bestand, geschaffen wurde. Diese
„Cloaca“ war eine weltgeschichtlich einmalige Erscheinung, sie kündet von der
hohen Kultur der alten Römer. Im Wort
Cloaca steckt das lateinische Wort „cluere“ für reinigen, von diesem leitet
sich unser deutscher Begriff Kloake ab. Bei der Pons Aemilius mündete die
Cloaca Maxima in den Tiber. Es gab für diese Cloaca sogar eine eigene Göttin,
man nannte sie die „Venus Cloacina“, der im Forum Romanum ein eigener Schrein
errichtet wurde.
Das große Problem des Mists in den mittelalterlichen Städten
- Bauern ziehen in die Stadt
Im europäischen Mittealter dürfte die römische Tradition
des Umgangs mit Müll und Unrat vergessen worden zu sein. Das Problem des Abfalls wurde im Mittelalter
zu einem immensen. Vor allem in Zeiten, in denen es mit dem Trinkwasser
schlecht bestellt war und die städtischen Brunnen verseucht waren, vegetierten die Bewohner in einem
jauchigen Dunst dahin. Die angesammelten
Exkremente und Abfälle verursachten häufig Infektionen und endemische
Krankheiten. Wohl wurden von den Magistraten der Städte sanitäre Verordnungen
in den Städten erlassen, aber es gelang nicht die Pest wirksam zu bekämpfen.
Typisch für die Pest war es, dass sie bei ungünstiger Witterung blitzartig meist im Stadtkern oder in den
Vorstädten der Handwerker ausbrach. Gerüche, Dreck und Ängste bestimmte das Leben
der Städter. Bisweilen konnten
Exkremente sogar lebensgefährlich werden. So wird berichtet, dass während des
Reichstages von Erfurt 1183 zu einem schrecklichen Unfall kam. Über hundert
Vertreter des deutschen Adels hatten sich im ersten Stock des Erfurter
Schlosses getroffen. Unter dem Ratssaal
befand sich die Klosettanlage für die Herrschaften. Die Dämpfe aus dieser
Anlage sollen die Decken- Stützbalken des Saals erheblich beeinträchtigt haben.
Während einer hitzigen Debatte gab unter
der Last der deutschen Aristokratie der angefaulte Boden des Schlosssaals nach,
worauf angeblich etliche Bischöfe und Äbte, Grafen und Ritter ihr Leben im braunen Sumpf
verloren haben.
Typisch für die
mittelalterlichen Städte war, dass Bauern vom Land in die Stadt zogen, wobei
sie ihr ganzes Hab und Gut mitbrachten, darunter auch ihre Schweine, Gänse, Kaninchen
und Hühner , welche sich nun auf den Straßen der Städte herumtrieben. In England fielen zirka drei
Millionen Tonnen tierischer Extremente an und in New York waren es 15.000
Tierleichen die entfernt werden mussten. Aber nicht nur die Tiere der Bauern
waren für den steigenden Müllanfall verantwortlich auch die Stadtbewohner
selbst lebten drauflos. Der Abfall wurde meist n einen Bach bzw. Fluss oder
gar auf die Straße geworden.
Friedrich Wilhelm I. (1688 – 1740), der Soldatenkönig , war darüber entsetzt
und befahl: „Unrathaufen vor Fenstern und Türen des Hauses sind zurück in die Wohnungen
zu schaffen!“ Er hielt auch fest: „Menschliche
Ausscheidungen sollten unter das Erdreich vergraben werden“ . Für den
Abfall wurden eigene Müllgefäße aufgestellt
„Goldgräber“ in den Städten
Dennoch blieb es bei der gesundheitlichen
Bedrohung der Städte durch Seuchen, wie Pest und Cholera. Man erkannte, dass
die Abfälle, die Exkremente und die Tierleichen für diese Epidemien
verantwortlich sind. In den großen Städten begann man damit, Leute
aus unteren sozialen Schichten einzusetzen, um den Müll zu beseitigten. Oft
wurde der Henker beauftragt, gegen Geld sich um die Entsorgung des Abfalls zu
kümmern. In Köln gab es zu dieser Zeit
eigene Kloakenreiniger, die man euphemistisch als „Goldgräber“ bezeichnete. Sie unterstanden
direkt dem Henker. Zu den Aufgaben
dieser Goldgräber gehörte das Ausheben und Ausschöpfen der Abortgruben. Der
Abtransport des in den Abortgruben
befindlichen „Goldes“ geschah am Abend. Auf genau bezeichneten Routen wurde
dieser „goldige“ Abfall zum nahen Fluss, in Köln zum Rhein, von den Goldgräbern
transportiert.
In Wien dürfte es nicht viel anders gewesen
sein. Die
mittelalterlichen Toiletten Wiens waren vorwiegend Abortgruben in den
Innenhöfen der Häuser. Sie waren mit einem Querbalken oder einem Toilettensitz
versehen. Ab dem 13. Jahrhundert wurden diese Toilettensitze mit Wänden
umgeben. Das Ganze sah wie ein kleines Haus, seit damals spricht man in
Österreich vom „Häusl“. In größeren Häusern gab es auch den Toilettenerker,
durch die Exkremente direkt auf die Gasse oder in den Hof fielen. Es muss auf den mittelalterlichen Gassen
furchtbar ausgesehen haben. So hieß die Blutgasse im 1. Wiener Bezirk früher:
Kotgasse.
Oh alte Burschenherrlichkeit - Wo sind den die vom breiten Stein ...
In manchen Städten löste man das Problem mit dem auf den
Straßen befindlichen Abfall so, dass man regelmäßig Wasser vom nahen
aufgestauten Fluss durch die Stadt fließen ließ, wie z.B. in Jena, der alten
Studentenstadt. In einem alten
Studentenlied wird diese Art der Müllbeseitigung besungen:
„Und in Jene lebt sich's bene Und in Jene lebt sich's gut.
Bin ja selber drin gewesen,
Wie da steht gedruckt zu lesen,
Zehn Semester wohlgemut.
Und die Straßen sind so sauber,
Sind sie gleich ein wenig krumm;
Denn ein Wasser wird gelassen
Alle Wochen durch die Straßen,
In der ganzen Stadt herum“.
Trotz solcher Maßnahmen sammelte sich in den
städtischen Straßen zumindest bis in das 18. Jahrhundert der Unrat der
Einwohner. Um einigermaßen unbefleckt
auf den Straßen gehen zu können, wurde der erhöhte Bürgersteig, der
„breite Stein“ (broadway“), angelegt.
Begegneten sich zwei Herren auf diesem, so musste der rangmäßig niedere
hinunter in den Dreck der Straße steigen. Die Sudenten in Göttingen jedoch
weigerten sich, wenn ihnen ein Bürger begegnete, den Gehsteig zu verlassen, sie
zwangen geradezu den braven Bürger hinunter in den Dreck der Straße zu steigen. In dem berühmten Studentenlied. „Oh alte
Burschen Herrlichkeit“ (18. Jh.) wird in der 2. Strophe darauf Bezug
genommen. Es heißt da:.
„Wo sind sie, die vom breiten
Stein
Nicht wankten und nicht wichen
Die ohne Moos bei Scherz und Wein
Dem Herrn der Erde glichen?
Sie zogen mit gesenktem Blick
In das Philisterland zurück. „
Putten und Wagen für den Straßenkehricht - der Mistbauer
In Wien , wie aus einer Kundmachung vom November 1560 zu
ersehen ist, versuchte das Magistrat,
den Wienern klar zu machen, dass der Hausmüll in Putten, Scheibtruhen
oder auf Karren und Wagen „strakhs aus der Statt“ zu bringen ist. Der Müll sollte also vor der Stadt abgelagert
werden. Viel Erfolg dürfte diese Kundmachung nicht gehabt haben. Schließlich kam die Stadtverwaltung 1656 auf
die Idee, den Hausmüll mit öffentlichen Straßenkehrichtwagen abtransportieren
zu lassen. Zunächst bestand keine Pflicht für die Wiener, ihren Hausmüll auf
diese Weise zu beseitigen. Erst 1839
wurde diese Art der Müllbeseitigung mit Pferdewägen für die Wiener
vorgeschrieben.
Einige Jahre danach wurde für den Straßenkehricht und für den Hausmüll je ein Wagen
eingerichtet. Derjenige Mann , der den
Hausmüll transportierte, war der „Mistbauer“.
Im 1. Bezirk erfolgte die Sammlung täglich, sonst ein- bis zweimal pro
Woche. Die Sammelwagen wurden durch Glockenzeichen angekündigt, worauf die
Hausparteien ihre Sammelgefäße selbst zum Wagen bringen und dem Mistbauer zum
Entleeren, "zum Auflegen des
Kehrichtes auf den Abführwagen", übergeben mussten. Man sprach daher „vom
Mist (oder Müll) auflegen“. Aus dieser alten Tätigkeitsbeschreibung rührt auch
die noch heute gültige Berufsbezeichnung "Müllaufleger" für das
Sammelpersonal.
Ende des 19. Jahrhunderts geht man aus hygienischen Gründen
in Wien allmählich vom Sammelsystem mit den offenen Pferdewägen ab. In den
Jahren danach versuchte man, den Mist in Säcken oder Gefäßen zu sammeln und
dann volle Mistkisten gegen leere zu
tauchen. Auch das war wenig zufriedenstellend. Schließlich entschloss man sich
nach dem 1. Weltkrieg in Wien zu einem
Umleersystem nach dem System „Colonia“ – benannt nach der Stadt Köln. Damit beginnt die Zeit des Colonia-Kübels.
Die Tochter des Müllkutschers
Der Mistbauer gehörte zum Stadtbild der Städte. Sozial war er nicht sehr angesehen, ähnlich wie die
mittelalterlichen „Goldgräber“ (s.o.).
Ich möchte hier kurz auf das Musical „My fair lady“ aus gutem Grund
eingehen In diesem lernt ein gewisser
Professor Higgins, ein angesehner Philologe und Phonetiker, nach einem
Opernbesuch die auf dem Blumenmarkt bei Covent Garden in London die Blumenverkäuferin
Eliza Doolittle kennen. Er ist
verwundert über ihren kraftvoll-vulgären Dialekt. Da Higgins glaubt, dass der
Mensch durch seine gepflegte Sprache soziales Ansehen erwerben kann. Demnach könne das Blumenmädchen wie Eliza, so
Higgins, eine anerkannte Dame sein, wenn
sie richtiges und gutes Englisch
spräche Eliza ist von dieser Idee
angetan. Schließlich muss sie jeden Tag
um ihren Lebensunterhalt kämpfen, aber auch ihren Vater Alfred P. Doolittle musste sie durchbringen. Herr Doolittle,
darum erwähne ich das Stück, ist von Beruf „Müllkutscher“, der mit zwei
Saufkumpanen in den Tag hinein lebt. Eliza wächst also im Umfeld eines
Müllkutschers auf und spricht auch den Dialekt der Müllkutscher. Von ihrer Sprache her hat sie, wie Higgins meint,
keine Chance, je über den Status eines
armen Blumenmädchens hinauszukommen. Eliza nimmt daher bei Higgins
Sprachunterricht. Sein Freund Oberst Pickering schlägt ihm eine Wette vor: Wenn
es Higgins gelänge, innerhalb von sechs Monaten aus Eliza eine Dame zu machen,
würde er die Kosten der Ausbildung übernehmen. Eliza muss von morgens bis
abends sprechen üben, sie wird dabei von Higgins herablassend behandelt, so
dass der Unterricht eher einer Dressur gleicht. Bald stellt sich der Erfolg
ein, sie spricht ein schönes Englisch.
Professor Higgins und sein Freund der Colonel nehmen nun Eliza zum
Pferderennen in Ascot mit. Higgins
schreibt ihr vor, wie sie sich in der feinen Gesellschaft benehmen und in
bestem Englisch sprechen müsse. Eliza benimmt sich gut und spricht schön, doch
sie verfällt in ihren Müllkutscher-Dialekt und schockiert das feine Publikum,
als sie beim Pferderennen das Pferd, auf das sie gesetzt hat, mit den Worten
anfeuert: „Lauf schneller oder ich streu dir Pfeffer in den Arsch“. Als Tochter eines Müllkutschers kennt sie
sich also aus, wie man mit Pferden und umgeht und spricht. Ich erwähne diese Geschichte, um auch zu
zeigen, dass es eine eigene Kultur der Müllkutscher gab und auch noch gibt, zu der eine spezielle
Sprache gehört.
Menschen, die vom Mist und mit dem Mist leben
Ausser den oben genannten Abdeckern gab es noch eine
Reihe anderer „Berufe“, die vom Mist lebten.
Zu diesen gehörte: der
„Aschenmann“, der in Raimunds „Der
Bauer als Millionär“ vorkommt. Der
Aschenmann, der meist aus der Kultur der Armut kam, suchte im 18. und 19.
Jahrhundert, als man in Wien noch mit Holz heizte, die Höfe der Häuser auf. Mit
dem Ruf „A Aschen“ machte er auf sich aufmerksam.
Mit
einer Krücke holte dann der Aschenmann, wenn man ihn einließ, die Holzasche aus dem Herd und füllte diese in
die Butte, die er auf dem Rücken trug. Die Asche wurde dann an Seifensieder und
Leinwandbleicher verkauft. Gekleidet war der Aschenmann meistens mit einer
Schürze und einem breitrandigem Hut.
Die Strotter in den Kanälen – Eisensammler und
Fettfischer
Als in Wien um 1900 Sammelkanäle, die in den Donaukanal
oder in den Wienfluss mündeten, entstanden, fanden in diesen Kanälen
Obdachlosen Möglichkeiten des Überlebens. Diese Obdachlosen wurden generell als
Strotter bezeichnet. Das Wort Strotter
leitet sich vom alten Vagabundenwort „strotten“ für „aussortieren“ ab. Der Strotter war also jemand, der aus dem
Abfall der Stadt jene Dinge aussonderte, die er zum Überleben brauchen konnte. In den Abwässern der Kanäle fanden die Strotter
angeschwemmte Schätze wie Münzen, Eisenstücke und andere brauchbare
Gegenstände.
Über Strotter, die auf das Sammeln von Alteisen sich
spezialisiert haben, berichtet Emil Kläger in seinem 1908 erschienenen Buch
„Durch die Wiener Quartiere des Elends und Verbrechens“. Im
Kapitel „Quartiere im Wienkanal“ heißt es auf S 66: „Zu der Stiege
zurückkehrend, besichtigten wir die Strottergänge, worunter die Nischen und
Ecken im Aufstiege zu den ‚fliegenden Brücken’ verstanden werden … Die Strotter
pflegen in diesen Gängen zu nächtigen, bevor sie sich am grauen Morgen an ihre
Arbeit (!) begeben. Überall liegt hier altes in verschiedenen Formen herum und
über jeden dieser Haufen sind die Namensinitialen des Eigentümers in großer
unsicherer Schrift an die Mauer gemalt“.
Es gab unter den Strottern auch Spezialisten, welche nach
Knochen, Fleischresten und Fettstücken suchten, die sie getrocknet an die
Seifenindustrie verkauften. Manche
dieser Strotter arbeiteten dabei mit an Stöcken befestigten Sieben.
Aber auch aus den dreißiger Jahren wird von solchen
Fettfischern berichtet. Darüber ist in
der Zeitschrift „Die Kriminalisten“ z. B. unter der Überschrift „Eine fette
Spur“ dies zu lesen: „Eine Gruppe von
Männern traf sich tagaus, tagein nahe den Simmeringer Gaswerken an der
Einmündung des Hauptsammelkanals in den Donaukanal. Mit selbstgebauten
Hilfsmitteln aus Draht und Holz bauten sie eine Barriere auf, die das obenauf
schwimmende Fett aus dem Kanalsystem auffing und von Zeit zu Zeit abgeschöpft
werden konnte. Das waren die Fettfischer, Fettsammler oder Fettschöpfer,
Arbeitslose, die sich so durch den Verkauf des derart gewonnenen Rohmaterials
für industrielle Zwecke ein bisschen Geld verdienten. Am Sonntag, den 10. April
1932, kamen die beiden Fettfischer Johann Böhm und Johann Watzlawik zu ihrer
Schleuse, die am Vorabend gegen 16 Uhr geschlossen worden war. Als sie
begannen, das gesammelte Fett abzuschöpfen, fielen ihnen handtellergroße
Fleischstücke auf, die sie in einem gesonderten Bottich sammelten. Es stellte
sich heraus, dass dieses Fleisch von einem ermordeten Menschen stammte, der
über den Kanal entsorgt werden sollte“
Kriminalbeamte konnten dieses Verbrechen aufklären. Diese Aufklärung
wäre wohl nicht möglich gewesen, wenn nicht Kanalstrotter nach Fett „gefischt“ hätten. (www.diekriminalisten.at/krb/show_sel.asp?sel=8&aus=52).
Mist als Unterschlupf
Klassische Misthaufen, wie sie die Bauern hatten, gab es in Wien noch am Beginn des 20.
Jahrhunderts , und zwar in den Randbezirken, wo es noch große Gärten und Felder
gab. Der Jornalist und Gründer der Kinderfreunde Max Winter, der ausgezeichnete
Sozialreportagen aus der Zeit um 1900 schrieb, geht in einer Reportage auf
Misthaufen ein, die armen Leute als Unterschlupf dienten. Es heißt in seinem Bericht über Obdachlose in
der Brigittenau:“ „Was machts denn ihr im Winter,“ wendete ich mich an die
anderen (Obdachlosen) . „Wenn’s recht
kalt is, geh’ m’r zu die Gärtner. Aber m’r hat ja ka Ruah. Die Polizei kummt
alle Augenblick nachschau’n und nimmt an’ mit. In Summer hab m’r ’s guat, da
kummt die Polizei, wanns grad an suacht, der was ang’stellt hat......... Aber
im Winter nehmen s’ gern mit, was d’rwischen.“ – „Wo schlaft ihr denn da bei
den Gärtnern?“ – „Im Misthaufen“ – der „böhmische Franto“ lacht. Es ist der,
der mich zuerst am Morgen begrüßt und mir dann erzählt hatte, daß er auf einem
Misthaufen geschlafen habe. „Da is wenigstens warm im Mist“, ergänzt ein auffallend hübscher und starker
Bursch von etwa 16 Jahren, den ich Ferdl nennen will. Er bringt sich als
Schwerkutscher durch, ist nun aber postenlos und übernachtet auch hier. «Haben
Sie denn auch schon im Mist g’schlafen? – «Ja, zu die letzten Weihnächten.» –
«Mit was deckts euch denn da zu?» – «Mit’n Mist! Den heb’n m’r so auf (er macht
mit beiden Händen eine hebende Bewegung), leg’n uns dann eini und lassen den
Mist auf uns fall’n. Da is ’s warm.“…“ (Max Winter, 1901).
Auch Emil Kläger berichtet in seinem Buch „Durch die Wiener
Quartiere des Elends und Verbrechens“ von Obdachlosen, die in den Kanälen Wien
im Mist aufwärmten. Einer dieser Kanalbewohner erzählt ihm; „Hunderte Menschen
schlafen in den Schächten der Sammelkanäle und im Wienkanal. Sieh sie dir doch
an, wie sie dort unter dem Abfall (!) liegen…“,( E. Kläger 1908, S 22).
Die Freeganer (= Mülltaucher)
Moderne Spezialisten für das Leben aus dem Mist
sind die Freeganer. Typisch für die Freeganer ist, dass sie sich fleischlos ernähren und ihr Essen
aus den Mülltonnen der Supermärkte holen.
Die Absicht der Freeganer ist,
Geld zu sparen und vor allem durch „Nicht-Kaufen“ unser
Wirtschaftssystem zu boykotieren.
Abschließende Bemerkungen - Mistführer
ließen sich im Prater beschenken
Die Geschichte der
Auseinandersetzung mit dem Müll, den der
Mensch verursachte, ist eine sehr alte,
aber auch aufregende. Zu dieser Geschichte gehören Abdecker, Goldgräber,
Aschenmänner, Strotter u.a. aus der Kultur der Armut kommenden Leute, die den
Mist auf ihre Art brauchten, um überleben zu können. Im Gegensatz zu früher
sind die heutigen „Mistführer“, die mit ihren Spezialwägen den Mist holen,
angesehene Leite, die gut verdienen und über viel Freizeit verfügen. Aus diesen
Gründen ist es auch nicht leicht für einen Außenstehenden, bei der Müllabfuhr
eingestellt zu werden. Die Mistführer sind heute gern gesehene Leute, die auch
gut und schlau zu leben wissen. Davon kündet folgende Geschichte, die ich einer
österreichischen Zeitung unter der Überschrift „Mistführer ließen sich im Prater beschenken - Für ein Krügel
Bier und etwas zum Essen nahmen sie Extrafuhre Abfall mit - Schuldspruch wegen
Geschenkannahme“ gelesen habe. Es heißt da:
„Wien - Die so genannte Pratertour war bei einigen Wiener Mistführern
sehr beliebt. Die Beamten der Magistratsabteilung (MA) 48 konnte sich dort ein
"Zubrot" verdienen - wenn auch auf rechtswidrige Weise: Von einigen
Lokalbesitzern erhielten sie regelmäßig finanzielle Zuwendungen, wenn sie nicht
nur die vollen Mülltonnen entleerten, sondern auch die daneben abgestellten
Müllsäcke oder mit Essensresten gefüllten Schachteln mitnahmen oder
außertourlich ein zweites Mal den Betrieb ansteuerten, um den zusätzlichen
Abfall aufzunehmen“. Diese drei „Müllmänner“ wurden wegen Geschenkannahme zu je sechs Monaten bedingter Haft
verurteilt. Neben Geld hatten sich die Angeklagten mit Gutscheinen beschenken
lassen. Außerdem bekamen sie gratis ein Krügel Bier und etwas zum Essen
serviert, wenn sie Durst oder Gusto auf eine Stelze verspürten. Für die
Prater-Wirte zahlte es sich durchaus aus, die Mistführer zu
"schmieren": Sie ersparten sich die wesentlich kostspieligere
Müllbeseitigungsgebühr, die zusätzlich angefallen wäre, wäre alles seinen
rechtmäßigen Weg gegangen. Über zehn Jahre lang blieb das Treiben untentdeckt,
ehe im Vorjahr bei der MA 48 ein anonymes, mit "Ein ehrlicher
Steuerzahler" unterzeichnetes Schreiben eintrudelte, in dem die Vorgänge
eingehend beschrieben wurden. Die interne Revision beschattete daraufhin die
verdächtigen Mistführer, und schließlich konnte einer beobachtet werden, wie er
nach getaner Arbeit in einem bei Touristen und Einheimischen gleichermaßen
äußerst beliebten Gastlokal zur Schank marschierte und "Host a Geld für
mi? 40 Euro, bitte!" verlangte. "Des hot si kleinweis' aufbaut. Des
hot si so ergeb'n. Mir hom halt a Klanigkeit kriegt. Und auf a Trankl hamma
kummen kennan", sagte nun einer der Angeklagten. Er habe "eh nur
Kaffee oder Mineralwasser" konsumiert, betonte er, worauf sich seine
beiden Kollegen ein Grinsen nicht verkneifen konnten. Auf die Frage, wie viel
Bargeld denn abgefallen wäre, meinte einer von ihnen: "Des is' individuell
g'wes'n. Je nachdem, wie si die Chefleit g'fühlt haben." Richterin Claudia
Moravec-Loidolt machte deutlich, dass sie gefühlsmäßig von einer höheren
Schadenssumme ausgegangen wäre, die sich jedoch nicht nachweisen ließ.
"Mir hom jo net Buch g'fiahrt", bemerkte einer der Angeklagten.
(APA)“ (Der Standard ´, 2. Juni 2008).
Anhang 1 : Müllentsorger und Totengräber - Der Herr, der tausend Leute unter sich hat
Für mein Buch „Eigenwillige Karrieren“ sprach ich auch mit
Herrn Sepp Rappold, er ist Müllentsorger und Totengräber. Diese Verbindung beider Tätigkeiten
interessierte mich, da die Aufgaben des Müllentsorgers und die des Totengräbers
grundsätzlich ähnlich sind. Beide beschäftigen sich damit, dass etwas, das
nicht mehr „verwendet“ wird bzw. nicht mehr „verwendet“ werden kann, entsorgt wird, d. h. unter die Erde gebracht,
verbrannt wird oder sonst wie beseitigt
wird. Sepp, der zunächst Fleischhauer
war, erzählte mir über den Beginn der
Müllabfuhr in Windischgarsten, sein Onkel war ein Pionier auf diesem Gebiet: “1979
habe ich aufgehört mit der Fleischhauerei. Ich wollte etwas anderes machen. Für
mich war interessant, dass mein Onkel mit der Müllabfuhr in Windischgarsten und
Umgebung 1975 begonnen hat. Er war damals ganz alleine, höchstens
Aushilfskräfte unterstützten ihn. Auf die Idee mit der Müllabfuhr ist mein
Onkel durch deutsche Gäste gekommen, die mit dem Müll in Deutschland zu tun
hatten. Von der Stadt Mannheim hat er
1975 einen Müllwagen gekauft. Damals
wusste man noch nicht, was man mit dem Müll machen soll. Hinter dem Kalvarienberg in Windischgarsten
gab es zu der Zeit eine große Deponie. Dort haben die Gemeinden den ganzen Müll
hingeworfen. Heute noch liegt dort alles
drinnen. Es werden immer wieder Proben aus der Deponie genommen, um zu
schauen, ob dort Schädliches gelagert
ist, wenn sich z.B. eine Flüssigkeit absondert.
Gott sei Dank gibt es bis heute
kein Problem. Bevor es diese Deponie
gegeben hat, ist alles, was man nicht brauchen konnte, irgendwo hingeworfen worden, in einen Graben
oder in den Bach.“ Mich interessiert der
Beginn der Müllabfuhr und der Mülltrennung. Sepp erzählt: „Mülltrennung gab es
damals noch nicht. Zuerst haben die
Gemeinden den Müll selbst weggeführt.
Mit einem Wagen hat der Onkel angefangen. Am Anfang ist alles zur Deponie hinter den
Kalvarienberg gebracht worden.
Vorderstoder und Hinterstoder hatten
je eine eigene Deponie. Auch in
Oberweng gab es eine eigene Deponie, ebenso in Spital am Pyhrn. Heute kommt alles aus dem Bezirk in das
Abfallzentrum nach Inzersdorf, Dort wird alles am Förderband grob sortiert.
Dann wird es in verschiedene Richtungen geschickt, das eine dahin, das andere
dorthin. Der Rest wird in Wels verbrannt.
…. 1979 hat der Onkel gesagt, er
würde jemanden ganztägig einstellen wollen. Vorher hatte der Onkel bloß
Tagelöhner hie und da eingesetzt.
Er selbst fuhr mit dem Müllwagen
, auch seine Frau fuhr damit. Ich war der erste, der ganztägig bei ihm
angefangen hat. Er hat für die Müllabfuhr einen Wagen gehabt und einen für den
Gruben- und Kanaldienst. Letzteren brauchte er zum Ausheben von Gruben der Klosetts , der so genannten
‚Häuseln’. Der Onkel hat auch eine kleine Landwirtschaft gehabt. Der Dreck aus den Gruben und den Kanälen ist
irgendwo auf die Seite gespritzt worden, auf die Wiesen. Der Onkel selbst hat
daheim einen großen Teich angelegt, dort ist alles, auch das aus den Häuseln, hinein
gelassen worden. Um den Teich hat er einen großen Erdwall errichtet. In dem Teich ist alles versickert. Das war
so. Die
Behörde war damals froh, dass irgend jemand da war, der so einen Teich
gehabt hat. Die Behörde hat ja nicht gewusst, wohin mit dem Dreck aus ‚Häuseln’
und Kanälen. Das Problem sind die
Waschmittel. Heute kommt alles, Gott sei
Dank, in die Großkläranlage in Rossleithen“.
Sepp arbeitet nicht nur bei der Müllabfuhr, er ist auch
Totengräber.
Wie er zum Totengräber wird, erzählt er so: „Am 2. Mai 1979
habe ich bei der Müllabfuhr begonnen.
Und am 7. August 1979 habe ich mein erstes Begräbnis gehabt. Da habe ich
also als Totengräber angefangen. Durch
meinen Chef von der Müllabfuhr , meinen Onkel,
hat sich das so ergeben. Er war mit dem
Herrn Berner von der Bestattung viel beisammen, sie waren gemeinsam im
Windischgarstner Reitverein. Da hat mein
Onkel einmal gehört, dass der Berner keinen Totengräber hat, denn der alte
Totengräber hat aufgehört. Der Berner, also der Bestatter von Windischgarsten,
hat nun selbst zwei Monate hindurch die Gräber geschaufelt. Mein Onkel hat mir das erzählt. Ich habe
mir gedacht, dass die Arbeit als
Totengräber kein schlechtes Geschäft ist.
Damals ist für das Grabschaufeln noch gut gezahlt worden. Bei der Müllabfuhr habe ich
7.150 Schilling im Monat verdient und für das Schaufeln eines Grab habe ich
1.400 Schilling verdient. Mit 3 Gräbern
verdiente ich schon über 4.000 Schilling.
Ich bin der einzige Totengräber in der Gegend.“
Ich frage Sepp, ob es Gruppen von Totengräbern
gibt, die sich auch regelmäßig treffen. Er nickt und erzählt: „Es gibt die
„Vereinigten Totengräber“. Ich war in Tunesien auf Urlaub. Wie ich mit
Mitreisenden ins Reden komme, fragt mich eine Frau, was ich von Beruf bin. Ich
habe geantwortet: ‚Ich habe tausend Leute unter mir!’ Sie hat mich darauf
sofort gefragt: ‚Bist du vielleicht ein Totengräber ?’ Sage ich: ‚Ja, wie kommst du darauf ?’ Sagt sie: ‚Ja, mein Bruder ist auch
Totengräber’. Es hat sich heraus
gestellt, dass ihr Bruder der Schriftführer von den ‚Vereinigten Totengräbern
Oberösterreichs ist.. Durch diese Frau
bin ich schließlich auf diesen Verein gestoßen und Mitglied in diesem
geworden“. Dieser Verein veranstaltet regelmäßig Treffen, bei denen Erfahrungen
ausgetauscht werden, aber auch heitere Kränzchen, bei denen fröhlich musiziert
und getrunken wird.
Während die
heutigen Totengräber und Müllentsorger ihre Arbeit als durchaus geachtete Berufe
sehen, gehörten ihre Vorläufer im Mittelalter den so genannten „unehrlichen
Berufen“ an, da sie, wie schon erwähnt, außerhalb der ständischen Ordnung sich
befanden. In die Literatur fanden Totengräber vor allem Eingang durch das Drama
„Hamlet“ von Shakespeare. In diesem treten
zwei Totengräber auf, die sich Gedanken auch über ihren Beruf machen. Der eine
der beiden bezeichnet den Beruf des Totengräbers als einen uralten „edlen
Beruf“. Er sagt dabei zu seinem Kollegen, mit dem er eben dabei ist, ein Grab
zu schaufeln, dies: „ Komm, den Spaten her! Es gibt keine so alten
Edelleute als Gärtner, Grabenmacher und Totengräber , sie pflanzen Adams
Profession fort.“ (Girtler 2011). Ich füge im Sinne meines Gesprächspartner Sepp hinzu: edle Leute sind auch die
Müllentsorger.
Anhang 2 : Zur Sprache der Strotter und
Mistführer
Beispielhaft seien hier Wörter aus der Randkultur der
Strotter (s.o.) und der Mistführer festgehalten:
Strotter: Vagabund, der in den Kanälen nach brauchbarem
Abfall sucht
Trankl: (alkohol.) Getränk
Strebeln: Lumpen
sammeln
Stranzen: Bett, Unterkunft zum Schlafen
Tschocherl:
kleines Gasthaus
Kiberer: Polizist
Koberer: Quartiergeber,
Wirt
Trinken;
tschechern
Joschi:
Winterrock
MIstbuam,
Mistkerl: Müllentsorger
Stinki:
Ausleerer von Kloaken bzw. Jauchgruben
Scheissdreck-Sepp:
anderer Name für „Stinki“ (Chef des Unternehmens)
Sprüche :
Müll und Mist
die Zukunft ist.
Ich muss mit
Dreck mein Geld verdienen.
Das Geld stinkt
nicht, die Hände kann man sich waschen.
Wir müssen
fahren, sonst fängt der Mist zu stinken an (beim Abschied, wenn man während der
Arbeit irgendwo eingekehrt ist).
(wird ergänzt).
Literatur u.a:
Roland Girtler, Eigenwillige Karrieren, Wien 2011
Roland Girtler; Holt’s den Viechdoktor – Die abenteuerliche
Welt der alten Landtierärzte, Wien 2010.
Carmen Hofstädter, Leute, die vom Müll leben – Eine Studie
zur Soziologie des Abfalls (unveröffentl. Dissertation), Wien 2011
Franz Irsigler und Arnold Lassotta, Bettler und Gaukler,
Dirnen und Henker - Außenseiter in einer
mittelalterlichen Stadt, München, 1989.
Emil Kläger, Durch die Wiener Quartiere des Elends und
Verbrechens, Wien 1908
Max Winter, Streifzüge durch die Brigittenau – Eine Studie
aus dem Leben des Proletariats, in: Arbeiter-Zeitung, 1.11.1901.
www.diekriminalisten.at/krb/show_sel.asp?sel=8&aus=52).
(Der Standard ´, 2. Juni 2008).
(Wird ergänzt)