Roland Girtler, Feldforschung in
Siebenbürgen vom 14. bis 28. Juni 2017
Liebe Reisegefährtinnen
und Reisegefährten
Heidrun, Alwin, Roland, Wilhelm,
Laurin
die Ihr mit mir im Juni 2017 auf
Feldforschung in Großpold in Siebenbürgen (Rumänien) zumindest ein paar Tage gewesen
seid !
Festzuhalten ist, dass sich
diesmal keine Studentinnen und Studenten meines Seminars an der Universität
Wien an der Feldforschung beteiligt haben, da sie wegen angeblicher diverser
Prüfungen und ähnlicher Verpflichtungen keine Zeit für solche Exkursionen
hatten. Studentinnen und Studenten
früherer Jahre waren dagegen verwegener und gingen großzügiger mit ihren
Prüfungen u.ä. um.
Die hier genannte Dame ist meine
Tochter, die beiden Herren Alwin und Laurin sind meine Enkeln, Herr Roland
Bässler ist ein lieber Kollege und Herr Wilhelm Hopf, ein edler Kumpan, der
meine Feldforschungen in Siebenbürgen seit Jahren aufmerksam verfolgt und
regelmäßig bei diesen auftaucht.
Gedanken zu unserer Reise und zur
„adventure theory“ (siehe Kap. Feldforschung 2016).
Bună ziua!
Für Euren Mut, mich nach
Siebenbürgen in Rumänien zu begleiten, und Euer Interesse am Wandel einer alten deutschen und österreichischen Bauernkultur in Rumänien danke ich Euch sehr. Es waren eindrucksvolle
und abwechslungsreiche Tage, die ich in Siebenbürgen
verbracht habe. Mit dieser Kultur, zu der Landler, Sachsen,
aber auch Rumänen und Zigeuner gehören, ist ein eigenartiger Zauber verbunden
ist, den man vielleicht nicht sofort sieht. Für Soziologen bzw.
Kultursoziologen (in der Tradition Max Webers und der Chicagoer Schule der
Soziologie) und für Kulturanthropologen ergibt sich in Siebenbürgen ein breites Feld der
Forschung, zumal sich hier ein ungeheurer sozialer
und kultureller Wandel abspielt. Mit den Methoden der „teilnehmenden Beobachtung“ und des „eroepischen Gesprächs“ lässt sich hier einiges im Dorf und in der
Stadt erforschen (siehe Punkt 11).
Begonnen hat das Abenteuer nach einer langen Nachtfahrt mit dem Zug in Alba Julia - Karlsburg. Mit einem Taxi
fuhren wir zunächst nach Reussmarkt, wo wir eine alte Wehrkirche besuchten.
Herr A. Hütter, der im Pfarrhof als früherer Kirchendiener wohnt - der Pfarrer
ist bereits nach Deutschland ausgewandert -
freute sich wie jedes Jahr über unseren Besuch. Weiter ging es nach
Großpold, wo meine Begleiter im Haus des nach Österreich ausgewanderten Andreas Pitter ihre Quartiere bezogen. Ich
bezog, wie all die Jahre vorher, mein
Zimmer am Bauernhof von Anneliese und
Andreas Pitter gegenüber dem Ziehbrunnen und mit Blick auf den Hof mit
Hühnern und zwei Hunden unweit des ehemaligen Schweinestalles. Anneliese und Andreas Pitter, wunderbare Menschen, begrüßten uns
in landlerischer Sprache,
also in einem alten österreichischen Dialekt (die Vorfahren der heutigen
Landler wurden, wie ihr wisst, im 18. Jh. vor allem unter Maria Theresia wegen
ihres evangelischen Glaubens nach Siebenbürgen mit Gewalt verbannt). Anneliese
lud uns zu einem guten Frühstück ein. Am Nachmittag , wanderten wir auf das Küppchen, einem Hügel am
Rande des Dorfes, wo wir im Sinne meiner „10
Gebote der Feldforschung“ von oben auf das Dorf schauten und uns Gedanken
über die Anordnung der Häuser, die
Grenzen im Dorf u.ä. machten. Beim
Marsch dorthin scherzten liebenswürdige Zigeunerinnen , sie gehören
zum Stamm der Kalderasch, mit uns. Wir wanderten
wieder ins Tal und gelangten zum
evangelischen Freidhof (Friedhof). Beim Eingangstor lasen wir die Worte: “Sie
ruhen aus von ihrer Arbeit“. Dies erinnerte uns an die Überlegungen des Soziologen Max Webers von der „protestantischen Ethik“. Durch brave
Arbeit lässt sich das Wohlgefallen Gottes erreichen. Die verstorbenen Landler und Sachsen hier in
Großpold dürften dieses Wohlgefallen gefunden haben. An den Namen von
Verstorbenen auf den Grabsteinen konnten wir deren österreichische Herkunft erkennen, wie z.B. Piringer, Sonnleitner,
Glatz und Willinger (der oberösterreichische Bauernführer, der Nachfolger des
Stefan Fadinger, hieß 1626 Willinger). Per Autostopp fuhren Heidrun, Alwin , Roland und ich nach Neppendorf,
einen Vorort von nach Hermannstadt
(Sibiu). In Neppendorf, in dem auch Landler wohnten und einige noch
wohnen, steht der Palast des früheren, vor
Kurzem verstorbenen Zigeunerkönigs.
Die Zigeunerprinzessin ist mir eine liebe Freundin. Wir klopften an das Tor. Die Prinzessin
freute sich, uns zu sehen und lud uns zu einem Kaffee im Empfangssaal des
Königs ein. Bald erschien der Nachfolger
des alten Königs. Er ist ein nobler und prächtig aussehender Herr. Als ich ihn
mit "Rege" (König) ansprach, wehrte er höflich ab und meinte, er wäre
nun der "Imparat", der Kaiser.
Dies gefiel uns, der Kaiser ist uns sympathisch. Vor und in der evangelischen
Stadtpfarrkirche erzählte ich etwas über die Geschichte dieser alten sächsischen Stadt, deren
Häuser an das Mittelalter erinnern. Vermutlich
1147 erreichten die ersten deutschen
Siedler die Gegend. Ihre Sprache ist dem Moselfränkischen
bzw. Luxemburgischen verwandt. Gegen die Bedrohung durch die Türken ließ die Stadt drei Mauerringe
(die teilweise noch erhalten sind) mit 39 Türmen und mehreren großen Toren errichten.
Hermannstadt widerstand mehrfach Belagerungen durch die Türken, denen es nie
gelang die Stadt einzunehmen, weswegen die Stadt auch als Bollwerk der Christenheit bezeichnet wurde. Wir durchstreiften einige Male die Hermannstadt.
Wir suchten u.a. die orthodoxe „biserica“ (Kirche) auf,
erlebten Theaterleute und Musiker auf dem Großen Ring, ließen uns in der
Fußgängerzone die Covrigei (Brezeln)
schmecken und erlebten die Bäuerinnen auf dem Markt. Ich schaute außerdem den
Schachspielern im Park mit Begeisterung zu. Am
Sonntag nahmen Laurin und ich am evangelischen Gottesdienst teil. Nach dem
Gottesdienst sprachen wir mit Pfarrer Meitert.
Wir erfuhren einiges über das gemeinschaftliche Arbeiten im Dorf . dazu
gehört die Arbeit im Weinberg des Pfarrers, das Nüsseaufschlagen usw. Spannend war die Fahrt zur Kirchenburg Deutsch-Weißkirch mit
Wilhelm Hopf, der sich am Flughafen ein Auto geliehen hat. Mit ihm fuhren
Anneliese und Andreas Pitter und ich. Wir
nächtigten in einem schön restaurierten Bauernhof, der zum Hotel wurde - unweit
davon hat Prinz Charles einen Bauernhof. Am Tag darauf besuchten wir eine kühn
gelegene Bauernburg, die hoch über dem Tal errichtet wurde und an die noch
mächtige Mauern erinnern. Wilhelm und ich marschierten steil bergauf. Wieder
einmal gestatte ich mir ein paar Gedanken zu der von mir propagierten
„adventure theory“ (Girtler). Der in der Sozialforschung modisch
gewordene, nicht viel aussagende Begriff von der „grounded theory“ sollte man durch den der „adventure theory“ ersetzen, (theory bzw. Theorie – gemeint im ursprgl. Sinne von Einsicht und
Gesamtschau), denn bei einer Feldforschung kommt es nicht auf Zauberworte wie
„Akte des Kodierens“ o.ä. an, sondern auf gute
Protokolle vom Leben der Menschen und vor allem auf den Mut, sich in Situationen zu begeben, in denen das wirkliche
Leben sich abspielt. Alles andere ergibt sich von selbst, wie das Überprüfen
der Überlegungen, zu denen man mit viel Gefühl gelangt, und das Aufstellen von
Theorien, wie z. B. dass die Landler in typischer Weise (siehe Max Weber) auf gewisse Rituale der Höflichkeit usw.
achten.
In feldforschender
Verbundenheit grüße ich Euch, verehrte Reisegefährten als
stets Euer
Roland Girtler
Mulţumesc şi Dumnezeu
ajuta !
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